Neulich durfte ich endlich mal was erben. Nein, es war nur ein Umzug. Bevor mein Nachbar mich verließ, hinterließ er mir drei kleine, legoähnliche Steckbaustein-Kästen. Mir wurde warm ums Herz, denn diese Auto-Bausätze besaß ich als Kind auch.
Von Zeit zu Zeit wandle ich durch die Zimmer unserer Kinder und stoße auf Legosteine heutiger Zeit, die ich partout nicht zuordnen kann. Ich ahne nur, dass sie zu einer Ritterburg oder einem Alien gehören könnten. Selbst wenn ich es wüßte, es sind ja doch schon sämtliche Steckbausteine in einer Kiste gelandet.
Wieso gelingt mir das Zusammensetzen von kleinen Autos aus DDR-Zeiten innerhalb weniger Minuten? Und wieso kann ich noch nicht mal Steine der Neuzeit identifizieren geschweige denn zu einem Bauwerk zusammensetzen? Dieser Artikel wirft einen Blick auf die PeBe Miniauto-Steckbausteine aus DDR-Produktion.
Baukastensystem
Schauen wir uns ein Mini-Auto aus der Erbmasse des Nachbarn genauer an. Und siehe da: es ist simpel und es besteht fast nur aus standardisierten Bauteilen.
Dieses Auto basiert auf einer Plattform und einem Fenstersteinchen. Sechs durchsichtige Steinchen, die das Prinzip eines Kombifahrzeugs treffend fassen. In allen drei Bausätzen kommt die Plattform und die Fenstersteinchen zum Einsatz. Es sind nicht nur drei Baukästen, es ist ein Baukastensystem!
Die Wikipedia hilft unter dem Stichwort Baukastensystem bzw. Modularität weiter. Dort heißt es:
Einzelne Komponenten lassen sich unterschiedlich zu einem Ganzenk kombinieren, wenn sie wie Spielbausteine ausgeführt sind – das beschreibt das sprachliche Bild, das Gegenteil wäre einem Puzzle vergleichbar, bei dem jede Komponente nur genau einen möglichen Platz hat, und das System nur als ein ganzer Block (monolithisch) funktioniert.
Ein großer Vorteil ist, dass man alte Module leicht gegen neue Module austauschen oder neue Module zum Ganzen hinzufügen kann. Dafür brauchen Module klare Schnittstellen – möglichst genormt, um Probleme der Kompatibilität (des „Zusammenpassens“) gering zu halten.
Durch die Modularität von komplexen Systemen lässt sich deren Verständlichkeit für den Menschen erhöhen. Für den Hersteller, den Service wie auch Konsumenten kann ein Baukastenprinzip Vorteile bringen, besonders wenn als Anbieter standardisierter Einzelkomponenten unterschiedliche Unternehmen am Markt miteinander konkurrieren. Mögliche Vorteile sind:
Billige Herstellung durch baugleiche Serien
Niedrige Entwicklungskosten und schnellere Produktzyklen
Einfache Montageprozesse und Reparatur durch Austausch der fehlerhaften Komponente
Variationen durch Kombination mehrerer Komponenten verschiedener Gruppen aus einer Produktklasse
Man sollte meinen, die positiven Seiten eines Baukastensystems überwiegen? Fragt sich nur, für wen?
Die Spielphasen der Steckbausteine
In der Berliner Zeitung vom 21.12.2012 kam Dirk Engelshausen, Eurapa-Chef von Lego zu Wort. Dieser skizzierte die drei Spielphasen, wie sie die Kinder mit den Legosteinen durchlaufen, folgendermaßen [1]:
In der Bauphase geht es darum, das Schloss – oder was auch immer – aufzubauen. Dabei erleben Kinder gemeinsam mit den Eltern eine schöne Zeit, die sonst meist knapp bemessen ist. Der Papa hockt sich mit auf den Boden, auch weil er selbst immer noch gern bastelt und baut. Ist das Schloss fertig, darf man stolz sein und die Kinder loben.
Rollenspiele - Ich bin der König, du bist Aragorn, das Schloss ist groß und ganz schön unheimlich. Rollenspiele, wie Kinder sie immer und überall auf der Welt spielen.
In der dritten, der Umbauphase, wird der Schlossturm sowieso von hier nach da verrückt, wie es gerade passt. Die Kinder können andere Spielsteine oder ganze Bauteile einbeziehen. Wir haben die Serien absichtlich so konzipiert, dass das geht. Man kann zum Beispiel umstandslos Wände eines Gebäudes herausnehmen und anderswo einbauen. Die Kombinationsmöglichkeiten sind unendlich.
Die Lego-Modelle sind tatsächlich so komplex, dass sie ohne das Studium der Anleitung durch Erwachsene nicht aufzubauen sind. Die Bauphase der Miniautos dagegen habe ich als Kind allein durchleben können.
Die Umbauphase mag wie beschrieben noch funktionieren. Doch leise Zweifel sind angebracht. Was passiert nun nach der Umbauphase? Die sperrigen Verpackungen sind längst entsorgt. Nach einigen Wochen soll im Kinderzimmer wieder Platz geschaffen werden. Die Kunstwerke werden demontiert, und… - na klar, in die Kiste mit den anderen Legosteinen! Den Verbleib der Anleitung will ich hier nicht weiter verfolgen.
Puzzleteile
Die Noppen an den Legosteinen lassen uns glauben, dass dies Modulbausteine sind. Austauschbar und ersetzbar über Baukästen hinweg. Dem ist nur in den seltesten Fällen so. Die Noppen bei vielen Legosteinen sind wie die Nasen am Puzzleteilchen. Doch käme keiner auf die Idee, das Puzzleteilchen der Eiffelturmspitze beim Giraffenpuzzle der selben Größe unterzubringen. Die Noppen fungieren als Schnittstelle. Sie adeln jedoch ihren Träger nicht automatisch zu einem Modul.
Etwas anderes ist am Miniauto interessant: die Plattform mit den Frontleuchten und den beiden Achsaufhängungen. Sie bilden eine Art Systemgrenze, innerhalb derer gebaut werden darf. Schaut man in die Legokiste der letzten drei Weihnachtsgeschenke, dann sehen sie schier unendliche Weite. Die Plastikplattform bildet zusammen mit der menschlichen Erfahrung, wie in Grundzügen ein Auto zusammengesetzt ist, die Plattform!
Der durchsichtige Fensterstein fungiert als Modul. Er ist in vielen Autos einsetzbar und austauschbar. Weitere Module sind die Dachplatten und der Zwischenraum zwischen den Achsen. Alle anderen Steine wandern durch das Wissen des Autoschemas wie von allein an seinen Platz. Man kann die Autos nach Anleitung bauen, oder sich Variationen ohne Anleitung ausdenken.
Aber warum das Ganze? Lego kann doch auch Spaß machen. Und die Verkaufszahlen sprechen eine deutliche Sprache. Alles richtig! Doch die Eltern sollten sich bewußt sein, dass sie in den meisten Fällen ein 3-D-Plastikpuzzle kaufen. Es hat die selben Konsequenzen wie bei einem 2-D-Puzzle: geht ein Puzzleteil verloren, verliert es an Bedeutung. Vermischen Sie die Steine, können sie auch das Eiffelturm- und Giraffenpuzzle kräftig vermischen - es wird nicht leichter. Lego und Co sind keine Baukastensysteme, sondern Puzzleteile in Baukästen.
Warum verschwand nun dieses Miniauto-Baukastensystem vom Markt? Nur allein, weil es qualitativ nicht hochwertig war? Bitte lassen Sie es mich wissen. Auf jeden Fall war die Beschäftigung mit den Miniautos eine schöne Erinnerung an meine Kindheit.
Quelle (1): Jungs funktionieren anders, Interview mit Lego-Europa-Chef Dirk Engelshausen in der Berliner Zeitung vom 21.12.2012. Link
Baukasten Einsatzfahrzeuge
Serie MdI (Ministerium des Inneren)
PeBe Miniauto 70
Hersteller: VEB Plastica Bad Kösen
Preis: 5,50 Mark (der DDR)
Inhalt: 3 Fahrzeuge (Krankenwagen, Polizei, Post)
Anhand der 3 PKW bzw. Transporter-Modell läßt sich sehr gut das Aufbauprinzip für PKWs ableiten. Kinder können nun PKWs in jeglicher Farbe bauen.
Dass nun die Serie "Ministerium des Inneren" hieß, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Wenn man weiß, dass diesem Ministerium auch die Staatssicherheit zugeordnet war und sich in manchen Postämtern Türen ohne Aufschrift befanden - kann man verblüfft sein ob dieser "Offenheit".
Baukasten Omnibusse
Serie Omnibus
PeBe Miniauto 74
Hersteller: VEB Plastica Bad Kösen
Preis: 4,50 Mark (der DDR)
Inhalt: 2 Busse
Baukasten Kranfahrzeuge
Serie Kranfahrzeuge
PeBe Miniauto 79
Hersteller: VEB Plastica Bad Kösen
Preis: 4,50 Mark (der DDR)
Inhalt: 2 Kranfahrzeuge