Andreas Petersell

Mediokristan und Extremistan

Andreas Petersell am 21.06.2018

In Extremistan sind Ungleichheiten so, das eine einzige Beobachtung sich unverhältnismäßig stark auf das Aggregat, das Ganze auswirken kann.

Während das Gewicht, die Körpergröße und der Kalorienkonsum also aus Mediokristan kommen, gilt das für Besitz nicht. Nahezu alle sozialen Angelegenheiten kommen aus Extremistan. Man kann das auch so ausdrücken: Soziale Quantitäten haben die Form von Information, keine physische Form - man kann sie nicht anfassen. Geld auf einem Bankkonto ist wichtig, aber ganz gewiss nichts Physisches. Daher kann es jeden Wert annehmen, ohne dass man dafür Energie aufwenden müsste. Es ist nur eine Zahl!

Man kann den generellen Unterschied auch so formulieren: In Mediokristan müssen wir die Tyrannei des Kollektiven, der Routine, des Offensichtichen und des Vorhersagbaren ertragen; in Extremistan stehen wir unter der Tyrannei des Singulären, Zufälligen, Ungesehenen und Unvorhergesagtem. Auch wenn Sie sich noch so sehr anstrengen, werden Sie an einem einzigen Tag nie viel Gewicht loswerden; Sie brauchen die kollektive Wirkung vieler Tage, Wochen, sogar Monate. Und wenn Sie als Zahnarzt arbeiten, werden Sie nie an einem einzigen Tag reich werden - Sie können aber durchaus wohlhabend werden, wenn Sie 30 Jahre lang regelmäßig Zähne aufbohren und dabei motiviert, gewissenhaft, fleißig und diszipliniert sind. Bei einer Spekulation vom Extremistan-Stil können Sie allerdings in einer einzigen Minute ein Vermögen machen oder alles verlieren.

— Nassim Nicholas Taleb: Der schwarze Schwan
München 2008 (S. 54)